Ein Schweineherz aus dem Bioreaktor - in Zukunft könnten so vielleicht auch "Ersatzteile" für Menschen entstehen.

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Mediziner Harald Ott baut Organe.

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Das Produkt einer langen Forschungsarbeit sieht aus wie ein rosaroter Ballon aus flüssigem Glas. Es ist in einer Maschine befestigt, so als würde es von ihr leben. Das ganze Bild wirkt spukhaft auf laienhafte Beobachter, zumal der Ballon genau das produzieren kann, was seinesgleichen produzieren muss: Urin. Es handelt sich nämlich um die Niere einer Ratte, hergestellt in einem Bioreaktor, der etwa so groß ist wie ein Kühlschrank, 80.000 Dollar kostet und im Labor des aus Tirol stammenden Transplantationsmediziners Harald Ott an der Harvard Medical School steht.

Ott und sein Team haben das Organ eines toten Tieres von allen Zellen befreit und die übrig gebliebene Matrix wieder mit verschiedenen Zelltypen besiedelt. Für das Gewebe verwendeten sie vordifferenzierte Zellen aus den Föten von Ratten: eine Zwischenstufe zwischen embryonalen Stammzellen, die sich noch in keine Richtung entwickelt haben, und adulten Zellen, die das bleiben, was sie sind; ausgewachsene Zelltypen, die sich nicht mehr in eine andere Richtung lenken lassen. Schließlich gelang auch die Transplantation in eine Ratte, und die Niere produzierte im Körper des Tiers Urin. Insgesamt wurden 23 Prozent der Funktion einer gesunden Niere im Bioreaktor erreicht. Nach der Transplantation lag der Wert nur noch zwischen fünf bis zehn Prozent. "Dieser niedrige Prozentsatz hängt mit den relativ unreifen Zellen zusammen, die wir verwenden", sagt Ott, der hofft, durch bessere Methoden bei der Wiederbesiedlung und der Organkultur im Bioreaktor auch diese Werte zu verbessern. "Es sind nicht 100 Prozent notwendig, um die Lebensqualität von Patienten mit Niereninsuffizienz zu verbessern. Schon eine Funktion von 15 bis 20 Prozent eines solchen biologischen Kunstorgans könnte Unabhängigkeit von der Dialyse bedeuten."

Schmunzelnde Experten

Die Forschungsarbeit erschien im April dieses Jahres im Magazin Nature Medicine. Auch in der Heimat wurde man auf den Wissenschafter aufmerksam: Kürzlich hat Ott einen von zwei mit je 10.000 Euro dotierten Ascina-Awards des Wissenschaftsministeriums erhalten. Die Fachwelt ist heute über derartige Coups der Regenerationsmedizin weit weniger überrascht, als noch vor drei Jahren. Damals führten Ott und sein Team das gleiche Experiment mit der Lunge einer Ratte durch. "Viele Experten haben geschmunzelt, heute werden dem Thema lange Sessions auf internationalen Großkonferenzen gewidmet."

Der 35-jährige Ott ist natürlich nicht der einzige Wissenschafter, der sich diesem Thema widmet. Die ersten Versuche in Geweberegeneration gehen sogar auf die 1950er-Jahre zurück. Seit den 1990er-Jahren, seit man vom Entwicklungspotenzial von Stammzellen weiß, lebt die Vision, ein beliebiges menschliches Organ im Labor nachzuzüchten und es gegen ein krankes im lebenden menschlichen Organismus auszutauschen. Eine Hürde, die man bisher nicht überwinden konnte: die Dreidimensionalität von Organen. Mit der von Zellen befreiten Matrix ist das Problem nun gelöst. Außerdem sollte es zu wenig Abstoßungsreaktionen kommen.

Ott selbst hat seine Organregeneration-Forschungen an der Universitätsklinik in Innsbruck mit einem damals trendigen Thema begonnen: der Zelltherapie. Vorläuferzellen, die sich im Normalfall zu Skelettmuskulatur entwickeln, wurden ins Herz injiziert - mit der Hoffnung, die Insuffizienz dieses Organs zu heilen. Der Grundgedanke: Die Zellen erfüllen die Aufgabe eines lebenden, sich selbst erhaltenden Therapeutikums. Ott nennt das "eine Art Micro- machinery".

Die Zellen wollten aber nicht ganz so reagieren, wie er es von ihnen erwartet hatte. Sie stießen zwar Wachstumsstoffe für die Regeneration von Gefäßen aus. Allerdings entwickelten sie sich nicht zu Herzmuskelzellen. Bei Versuchen an der Ratte gab es schon Fortschritte. Ott: "Die Pumpfunktion wurde verbessert." Im Großtiermodell blieben die Injektionen aber fast ergebnislos. Für den Wissenschafter ein einleuchtendes Resultat: Die Ratte habe ein sehr kleines Herz. Ein neues Muskelgewebe von etwa einem Millimeter Durchmesser erziele hier eine sichtbare Wirkung. Im Herz des Schweins aber, größer und dem des Menschen sehr ähnlich, sei der Effekt zu vernachlässigen.

Der nächste Schritt führte Ott ins Ausland und zu Doris Taylor von der University of Minnesota. Sie ist eine der ersten Wissenschafterinnen, die sich mit der Nachzüchtung von Skelettmuskelzellen beschäftigt hat. In ihrem Labor gelang mit der Matrix-Methode, was selbst die Wissenschafter zum Staunen brachte: ein schlagendes Herz zu entwickeln. Eine Transplantation war in diesem Fall nicht möglich.

Als er im eigenen Labor in Harvard eine Lunge nachzüchten konnte, war Ott noch mehr begeistert. Diese konnte man sogar in eine Ratte einsetzen, wo sie immerhin zehn bis 14 Tage funktionstüchtig arbeitete. Gut waren die Ergebnisse auch bei der Bauchspeicheldrüse. "Das war aber nicht so überraschend: Man weiß, dass Diabetes in Tieren durch die Transplantation von Insulin produzierenden Zellen geheilt werden kann."

Nun wollen die Wissenschafter weitere komplexe Fragen klären: Wie weit müssen die Zellen, die für die Organproduktion verwendet werden, gereift sein? Embryonale Stammzellen, "die noch nicht wissen, welches Organ sie werden, bringen nichts", sagt Ott. Adulte Zellen sind zur Organregeneration ebenso unbrauchbar. Wo liegt das Dazwischen? Was auch zur Beantwortung einer weiteren Frage führen sollte: Woher wissen die Zellen, wo an der Matrix sie sich anzusiedeln haben, um zu einem funktionierenden Organ zu werden? Und woher weiß die Epithelzelle dann, dass sie in der Luftröhre ist und nicht im äußeren Bereich der Lunge? Die Wissenschafter sagen: Mechanische Reize wie Durchblutung und Beatmung teilen der Zelle in der Lunge mit, wohin sie sich bewegen muss. Aber wie die Abläufe im Detail funktionieren, "davon haben wir noch keine Ahnung".

Am Ziel steht jedenfalls eine Alternative zur derzeitigen Transplantationsmedizin, zum oft sehr langen Warten auf ein Spenderorgan. "Das ist unser Wunsch. Wir wollen hier nicht nur reinen Erkenntnisgewinn." Ein neuer Bioreaktor zur Nachzüchtung von menschlichen Organen wurde jedenfalls schon zusammengebaut. Er ist der Aufgabe entsprechend deutlich größer als der alte. Ott: "Er hat die Dimensionen der Wand eines großen Zimmers." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 6.11.2013)